Phosphatidylcholin (PC)
Einleitung
Phosphatidylcholin (PC) gehört zur Gruppe der Phospholipide und damit zu einer Naturstoffklasse, die in jeder tierischen und pflanzlichen Zelle vertreten ist.(1) PC ist das Phospholipid, das in allen Zellmembranen und unter den im Blut zirkulierenden Lipoproteinen eine dominierende Stellung einnimmt. Zugleich bildet es den funktionellen Hauptbestandteil der natürlichen oberflächenaktiven Substanzen (sog. Surfactants) und das Hauptreservoir des Organismus für den essenziellen Nährstoff Cholin.(2) Als physiologischer Bestandteil der Galle erleichtert PC die Emulgierung, die Resorption und den Transport von Fetten und wird anschließend über den enterohepatischen Kreislauf im Darm rückresorbiert.
Erst in neuerer Zeit wird nomenklatorisch klar zwischen PC und Lezithin unterschieden. Lezithin wird heute definiert als ein komplexes Gemisch von Phospholipiden und anderen Lipiden. Mit PC angereicherte Lezithinpräparate gelten ab einem Gewichtsanteil von 30 Prozent Phosphatidylcholin als PC-Konzentrate.
Pharmakokinetik und Metabolisierung
Nach seiner chemischen Struktur ist PC ein Glyzerinphospholipid,(3) dessen Glyzeringrundgerüst (CH2OH-CHOH-CH2OH) an allen drei Kohlenstoffatomen substituiert ist. Die Substituenten in den Positionen 1 und 2 sind Fettsäuren, an Position 3 ist Phosphorylcholin gebunden. Vereinfacht ausgedrückt besteht das PC-Molekül aus einem Kopf (Phosphorylcholin), einem Mittelteil (Glyzerin) und zwei Schwanzteilen (variierende Fettsäuren). Die Variabilität der Fettsäureschwänze ist der Grund für die große Vielfalt von PC-Molekülarten, die in den Geweben des menschlichen Körpers anzutreffen sind.
In vivo gibt es zwei Hauptwege für die Synthese von PC.(4) Bei dem ersten der beiden Synthesewege werden an Glyzerinphosphat (den „Mittelteil“) zwei Fettsäurereste („Acyl-Schwänze“) gekoppelt. Die dabei entstehende Phosphatidsäure (PA) wird anschließend zu Diazylglyzerin umgewandelt. Schließlich wird von CDP-Cholin stammendes Phosphocholin als Kopfteil hinzugefügt. Der zweite – und weniger wichtige – Syntheseweg verläuft über eine Methylierung des Phospholipids Phosphatidylethanolamin (PE). Dabei wird PE durch Anhängen von drei Methylgruppen an seinen „Ethanolamid-Kopf“ in PC umgewandelt.
Nach oraler Verabreichung wird PC sehr gut resorbiert. Die Resorptionsrate beträgt bei Einnahme mit den Mahlzeiten bis zu 90 Prozent innerhalb von 24 Stunden. Postprandial ist das Konzentrationsmaximum im Blut nach acht bis zwölf Stunden erreicht. Während des Verdauungsprozesses wird von den meisten PC-Molekülen die Fettsäure in Position 2 abgespalten (Deazylierung).(5) Das dabei entstehende Lyso-PC gelangt rasch in die Zellen des Darmepithels und wird anschließend in Position 2 reazyliert. Die Fettsäure in Position 2 trägt (gemeinsam mit der Fettsäure in Position 1) zur Membranfluidität bei, steht aber vorzugsweise für die Bildung von Eikosanoiden und für die Signalübertragung zur Verfügung. Das Gleichgewicht zwischen Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren innerhalb des PC-Moleküls ist abhängig von der Fettsäureaufnahme mit der Nahrung.(6,7)
Cholin ist für den Menschen höchstwahrscheinlich ein essenzieller Nährstoff.(8) Das in der Nahrung enthaltene Cholin wird hauptsächlich in Form von PC aufgenommen. Im Blut und in den Körpergeweben sind mehr als 98 Prozent des Cholins an PC gebunden.(2) Das mit der Nahrung aufgenommene PC dient als Nachschubquelle für Cholin, das dann langsam in die Blutbahn freigesetzt wird.(9) Bei mangelernährten Personen mit erniedrigtem Cholinspiegel im Blut lässt sich häufig eine Steatose mit den entsprechenden Leberfunktionsstörungen feststellen. Viele dieser Funktionsstörungen sprechen positiv auf eine PC-Supplementation an.(10)
Die Verfügbarkeit von Methylgruppen (-CH3) ist entscheidend für die Synthese und Regulation von Proteinen und Nukleinsäuren, aber auch für die hepatische Detoxifikation der Phase 2 und zahlreiche weitere biochemische Prozesse, die auf Methylierungsreaktionen basieren.(11) Ein Methylmangel infolge eingeschränkter Cholinaufnahme ist beim Menschen mit der Entstehung einer Fettleber und bei vielen Säugetierarten mit einem Anstieg des Krebsrisikos verbunden. PC ist ein ausgezeichneter Methylgruppen-Lieferant: Jedes PC-Molekül kann bis zu drei Methylgruppen abgeben.
Wirkungsmechanismen
PC ist die wichtigste Stützsubstanz der Zellmembran, die ihrerseits mit ihrer dynamischen Struktur als Ort lebenswichtiger physiologischer Prozesse fungiert.(1) PC stellt einen Anteil von 40 Prozent der gesamten Membranphospholipide und ist somit von zentraler Bedeutung für die homöostatische Regulation der Membranfluidität. Die PC-Moleküle in der äußeren Schicht der Zellmembran liefern bei Bedarf Fettsäuren für die als zelluläre Mediatoren fungierenden Prostaglandine bzw. Eikosanoide. Daneben unterstützen sie auch die Signaltransduktion vom Zelläußeren ins Zellinnere.(6)
PC ist der wichtigste Lipidbestandteil der im Blut zirkulierenden Lipoproteinpartikel. Aufgrund seiner amphipathischen Eigenschaft ist es zudem integraler Bestandteil von Mischmizellen der Gallensäuren.(12,13) PC ist oberflächenaktiv, eine Eigenschaft, die in Lunge und Gastrointestinaltrakt substanziell zum Schutz der Grenzflächen zwischen Epithel und Lumen beiträgt.(14,15)
Biochemisch ist PC der bevorzugte Präkursor bestimmter Phospholipide und anderer biologisch wichtiger Substanzen.(4) In vivo bietet es Schutz vor oxidativer Schädigung.(16) In klinischen und tierexperimentellen Untersuchungen schützte PC den Organismus gegen eine Reihe chemischer Schadstoffe und gegen unerwünschte Arzneimittelwirkungen.(1)
Klinische Indikationen
Der am besten dokumentierte klinische Erfolg, der bislang mit PC erzielt werden konnte, ist eine signifikante Besserung von Leberzellschäden. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass bei der Regeneration einer geschädigten Leber in erheblichem Umfang Zellmembranmasse ersetzt werden muss. Die Ergebnisse von acht Doppelblindstudien und zahlreiche weitere klinische Berichte1,7 lassen übereinstimmend einen signifikanten klinischen Nutzen der PC-Behandlung erkennen: So registrierte man u. a. eine Verbesserung enzymatischer und anderer biochemischer Indikatoren, eine raschere funktionelle und strukturelle Regeneration des Lebergewebes, eine beschleunigte Besserung des Allgemeinbefindens der Probanden sowie einen positiven Einfluss auf die Überlebensdaten.
Alkoholische Fettleberhepatitis
Knuechel führte eine Doppelblindstudie an 40 männlichen Probanden mit alkoholbedingter Steatohepatitis durch.(17) Nach dem Absetzen aller Medikamente wurden die Probanden nach Zufallskriterien in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe erhielt Plazebo, die andere orales (mit B-Vitaminen verstärktes) PC in einer Dosis von 1350 mg täglich. Nach zweiwöchiger Behandlungsdauer war der Nutzen von PC klar erkennbar. Nach acht Wochen waren bei zahlreichen biochemischen Leberfunktionsparametern signifikante Verbesserungen im Vergleich zu Plazebo zu verzeichnen.
Drei spätere Doppelblindstudien erhärteten diese Befunde. So gelangten Schuller Pérez und San Martín zu dem Ergebnis, dass "die Verabreichung von hochungesättigtem Phosphatidylcholin eine hochwirksame Therapie alkoholischer Steatosen darstellt“.(18) Buchman et al. verabreichten PC unter Doppelblindbedingungen an 15 Probanden mit Fettleber im Rahmen eines intravenösen Ernährungsprogramms mit totaler parenteraler Ernährung (TPN) und konnten ebenfalls einen signifikanten Nutzen dokumentieren.(19) Andere Autoren berichten, dass Probanden mit leichter bis mäßiger Leberentzündung am stärksten von einer PC-Supplementation profitieren.(20)
Im Tierexperiment erhielten Paviane über einen Zeitraum von bis zu acht Jahren täglich eine standardisierte Menge Alkohol. Unter Befolgung eines verblindeten Studiendesigns wurde einem Teil der Tiere gleichzeitig PC mit dem Futter verabreicht. Nach einigen Jahren hatte sich bei den Affen, die Alkohol ohne PC erhielten, eine fortgeschrittene Fibrose entwickelt, während die PC-supplementierten Tiere eine Fettleber mit nur leichter Fibrosierung aufwiesen. Weiter fortgeschrittene Stadien wurden unter der PC-Supplementierung nicht beobachtet. Nachdem drei der Versuchstiere bei fortgesetztem Alkoholkonsum kein PC mehr erhielten, entwickelte sich bei ihnen rasch eine ausgedehnte, tödlich verlaufende Leberfibrose.(21)
Arzneimittelinduzierte Leberschäden
In einer Doppelblindstudie erhielten 101 Tuberkulose-Patienten, deren Leber durch Rifampicin und zwei weitere Tuberkulostatika geschädigt war, Plazebo bzw. 1350 mg/die vitaminverstärktes PC. Nach drei Monaten war in der PC-Gruppe eine signifikante Senkung der SGOT- und SGPT-Spiegel zu verzeichnen.(22)
Hepatitis B
In einer Doppelblindstudie an 30 Probanden mit fortschreitender Leberschädigung infolge einer chronischen Hepatitis-B-Virusinfektion (HBsAg-negativ) erhielten die Patienten entweder PC (2300 mg/die) oder Plazebo. Die immunsuppressive Standardtherapie wurde in beiden Gruppen fortgesetzt. Nach einem Jahr hatte sich bei den Patienten der PC-Gruppe der klinische Zustand stabilisiert und die Leberarchitektur signifikant gebessert, während sich das Krankheitsbild unter Plazebo verschlechtert hatte.(23)
Sechzig Patienten mit Hepatitis B (HBsAg-positiv) erhielten über einen Zeitraum von 60 Tagen entweder verstärktes PC (1350 mg/die) oder Plazebo. Ab Tag 30 war bei den Patienten der Behandlungsgruppe eine klinische Besserung im Vergleich zur Plazebogruppe zu erkennen; 50 Prozent wurden HBsAg-negativ, verglichen mit 25 Prozent in der Plazebogruppe.(24)
In einer Doppelblindstudie an 50 HBsAg-positiven Probanden, die laut Biopsiebefund und immunologischen Testergebnissen extrem schwere Leberschäden aufwiesen, war in der Verumgruppe (1350 mg/die verstärktes PC) die Besserung deutlich stärker ausgeprägt (p<0,001) als bei den Patienten der Plazebogruppe: In der PC-Gruppe wurde bei 80 Prozent der Probanden (20 von 25) eine starke Besserung, in der Plazebogruppe dagegen nur bei 24 Prozent (6 von 25) eine mäßige Besserung festgestellt. Die Leberzellstruktur sowie die biochemischen, immunologischen und hämatologischen Parameter waren signifikant besser als unter Plazebo. Die klinische Besserung hielt weit über die einjährige Studiendauer hinaus an.(25)
Hepatitis C
In einer multizentrischen Doppelblindstudie wurden 176 Patienten mit chronischer Virushepatitis (B oder C) zunächst 24 Wochen mit Interferon-a behandelt und anschließend in zwei Gruppen randomisiert, von denen die eine für weitere 24 Wochen PC (1,8 g/die) und die andere Plazebo erhielt. Signifikant mehr Patienten sprachen auf PC an, insbesondere in der Untergruppe der Patienten mit Hepatitis C. Darüber hinaus dauerte die Besserung der Hepatitis C unter der PC-Supplementation länger (weitere 24 Wochen) an.(26)
Derzeit läuft eine multizentrische, doppelblinde Langzeitstudie zur Wirkung von PC bei alkoholischer Hepatopathie. Die Ergebnisse könnten einen Durchbruch in der medizinisch-nutriologischen Therapie dieser häufig lebensbedrohlichen Erkrankung signalisieren.(27)
Respiratory-distress-Syndrom (RDS)
Der PC-Gehalt von Surfactant-Faktor ist bei Frühgeborenen abnorm niedrig. Die Standardtherapie für Neugeborene mit RDS-Erkrankung oder erhöhtem RDS-Risiko besteht in der Gabe von exogenem Surfactant mit derselben Zusammensetzung wie bei reifen Neugeborenen (PC-Anteil von 70–80% des gesamten Phospholipidgehalts). Eine Meta-Analyse klinischer Studien ergab, dass natürliches Surfactant die Überlebenschancen und die Gesamtsymptomatik stärker positiv beeinflusst als synthetische Präparate.(28) In einer weiteren randomisierten Studie an 78 Neugeborenen mit RDS erwies sich natürliches Surfactant nach sechs Stunden als überlegen; nach 24 Stunden normalisierte sich das PC-Profil des Surfactant-Faktors.(14)
Nekrotisierende Enterokolitis / Gastrointestinale Nebenwirkungen von Arzneimitteln
Als wichtigste intrinsische oberflächenaktive Substanz im Gastrointestinaltrakt unterstützt PC die Säurebarrierefunktion des Magenepithels. Tierexperimentelle Studien sprechen dafür, dass PC auch zum Schutz vor den gastrointestinalen Nebenwirkungen von Azetylsalizylsäure und anderen nichtsteroidalen Antiphlogistika beiträgt, ohne deren Wirksamkeit zu beeinträchtigen.(15,29,30) Carlson et al. registrierten eine niedrigere Inzidenz der nekrotisierenden Enterokolitis bei Frühgeborenen, deren Nahrung einen hohen Gehalt an PC und anderen Phospholipiden aufwies.(31)
Zentralnervöse cholinerge Störungen
Zuweilen wird die These vertreten, dass sich PC günstig auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirkt. Eine solcher Effekt konnte jedoch in zehn plazebokontrollierten Doppelblindstudien nicht nachgewiesen werden.(32) Es gibt allerdings Anhaltspunkte dafür, dass das „therapeutische Fenster" für PC sehr schmal ist.(33) Dies wäre eine mögliche Erklärung für die enttäuschenden Studienergebnisse hinsichtlich der Wirksamkeit von PC bei Ataxie, Spätdyskinesie und anderen ZNS-Erkrankungen, bei denen cholinerge Störungen eine Rolle spielen.
Toxizität und Nebenwirkungen
PC kann frei mit anderen Nutrienten kombiniert werden. Bei gleichzeitiger Verabreichung fördert es in vielen Fällen deren Resorption. Toxikologische Standarduntersuchungen ergaben keinen Hinweis auf eine signifikante akute oder chronische Toxizität oder auf ein mutagenes bzw. teratogenes Potenzial von PC. Tagesdosen von bis zu 18 g Phosphatidylcholin werden gut vertragen.(7) Eventuelle Unverträglichkeitserscheinungen beschränken sich mit wenigen Ausnahmen auf Magen-Darm-Beschwerden in Form von Diarrhöe, Völlegefühl und Übelkeit.
Dosierung
Die therapeutische Dosis beträgt in der Regel 800–2400 mg/die. Im Falle schwerster Leberschädigung können 4,6 g/die oder mehr gegeben werden ("Salvage-Therapie"). Bei Patienten mit schweren Leberschäden werden die besten Resultate erzielt, wenn die Therapie mit intravenösem und oralem PC eingeleitet und nach der ersten Besserung der Symptomatik in Form einer oralen Supplementation fortgesetzt wird. Bei Patienten mit Leberschädigung durch Knollenblätterpilzvergiftung hat sich dieses Vorgehen als lebensrettend erwiesen.(34)