Undecenylsäure

Einleitung

Die meisten organischen Fettsäuren wirken fungizid und werden seit Jahrhunderten als antimikrobielle Wirkstoffe verwendet. Ursprünglich ein Bestandteil von Seifen, wurden sie in den letzten fünfzig Jahren auch in vitro als Konservierungsmittel mit hemmender Wirkung auf Hefen und Schimmelpilze in Nahrungsmitteln sowie als topische und systemische Antimykotika eingesetzt. Undecylensäure (10-Undecensäure; C11H20O2) ist eine einfach ungesättigte Fettsäure mit elf Kohlenstoffatomen. Die Substanz, die als Bestandteil von menschlichem Schweiß natürlicherweise im Körper vorkommt, wird kommerziell mittels Vakuumdestillation von Rizinusöl via Pyrolyse von Ricinolsäure hergestellt. Als preisgünstiges Antimykotikum ist sie in vielen frei verkäuflichen topischen Präparaten zur Behandlung lokaler Pilzinfektionen enthalten.(1) Undecylensäure weist eine ca. sechsmal stärkere antimykotische Wirkung auf als Caprylsäure und hat sich als wirksames Mittel zur Erhaltung einer gesunden Darm- und Vaginalflora erwiesen.(2)

Biochemie und Pharmakokinetik

Vor mehr als 50 Jahren konnten Wyss et al. nachweisen, dass die fungizide Wirkung von Fettsäuren mit der Zahl der Kohlenstoffatome zunimmt. Bei Fettsäurenketten mit mehr als elf Kohlenstoffatomen wird allerdings die Löslichkeit zum limitierenden Faktor. (3)

Der fungizide und fungistatische Effekt der Fettsäuren ist gut dokumentiert. Bei manchen Patienten kann er allerdings mit einer irritierenden Wirkung auf die Schleimhäute verbunden sein. Häufig verwendete Fettsäuren wie z. B. Caprylsäure oder Undecylensäure haben zudem einen unangenehmen Geschmack und Geruch. Als sinnvolle Alternative werden deshalb die Kalzium-, Magnesium- und Natriumsalze dieser Fettsäuren angeboten. Die fungizide Wirkung der Undecylenate ist nachweislich sogar viermal stärker als die der Undecylensäure und mehr als dreißigmal stärker als die der Caprylsäure. (4) Allerdings wird die antimykotische Wirkung der genannten Fettsäurensalze durch pH-Verschiebungen stärker beeinträchtigt als die der freien Fettsäuren. Im pH-Bereich von 4,5 bis 6,0 weisen sowohl Undecylensäure als auch Kalziumundecylenat eine ausgeprägte antimykotische Wirkung auf; bei einem pH von 6,0 beträgt die minimale Hemmkonzentration von Kalziumundecylenat gegen Candida albicans 200 ppm. Bei pH-Werten über 6,0 ist das Kalziumsalz jedoch weniger wirksam als die freie Fettsäure. Die Ursache hierfür liegt möglicherweise darin, dass in höheren pH-Bereichen die Ionisation des Salzes unterdrückt wird. (5)

Es ist bekannt, dass Störungen der Darmflora, insbesondere durch C. albicans, zu einer Alkalisierung des Darmmilieus führen. (6) Wenn die Salze der Fettsäuren in vivo wirksam sein sollen, muss daher gewährleistet werden, dass sie bei saurem pH an den Ort des intestinalen Pilzbefalls gelangen. Das heißt, dass die vermehrte Freisetzung von Bikarbonat aus dem Pankreas (die den pH zur alkalischen Seite verschieben würde) ebenso vermieden werden muss wie eine Schädigung der empfindlichen Darmschleimhaut. (7) Am besten erreicht man dies durch den Einsatz von Präparaten, die neben dem Fettsäurensalz auch geringe Mengen einer adjuvanten Substanz wie z. B. Betain HCl (in Retardform) enthalten. Letztere sorgt dafür, dass während der Darmpassage gleichzeitig mit dem Wirkstoff nach und nach kleine Säuremengen freigesetzt werden.

Wirkungsmechanismus

Die antimykotische Wirkung von Undecylensäure ist seit langem bekannt. Von den Mechanismen, die dieser Wirkung zugrunde liegen, kennen wir zumindest einen: die Hemmung der Morphogenese von Candida albicans. In einer Studie über Haftmittel und Unterfütterungsmaterialien für Zahnprothesen wurde festgestellt, dass Undecylensäure die Umwandlung von Hefepilzen in die Hyphenform hemmt. (8) Die Bildung von Hyphen (Pilzfäden) war mit der aktiven Infektion assoziiert. Die Autoren stellten Vermutungen darüber an, welcher Mechanismus der genannten Wirkung zugrunde liegen könnte. Dabei wurde u. a. die Hypothese aufgestellt, dass die Hemmung der Hyphenbildung auf Interferenzen mit der Fettsäuren-Biosynthese beruhen könnte. Unabhängig davon konnte nachgewiesen werden, dass mittelkettige Fettsäuren als Protonencarrier störend auf den pH im Zytoplasma von Hefen einwirken. (9)

Klinische Indikationen

Vaginale/Gastrointestinale Candidiasis

Undecylensäure unterdrückt aufgrund ihrer fungiziden Eigenschaften nachweislich das Pilzwachstum bei vaginalen oder gastrointestinalen Candidosen. Eine im Journal of the American Medical Association veröffentlichte Studie konnte eine direkte Korrelation zwischen vaginalen Hefepilzinfektionen und gleichzeitigem Candida-Befall des Verdauungstrakts aufzeigen.(10) Seit langem ist bekannt, dass Undecylensäure Candida albicans abtötet und so zur Aufrechterhaltung einer gesunden Darm- und Vaginalflora beiträgt.(2)

Soor

Da Undecylensäure systemisch wirkt, lässt sich durch ihre perorale Anwendung die Entstehung einer Candidiasis an Mund- und Zungenschleimhaut (Mundsoor) hemmen oder sogar verhindern. Zwar wurden bislang keine groß angelegten klinischen Studien durchgeführt, doch bestätigen zahlreiche Fallberichte die Wirksamkeit von Undecylensäure bei Mundsoor. Während der Stillperiode kann die orale Verabreichung von Undecylensäure an die Mutter Soorinfektionen beim Säugling verhindern. Allerdings kann es dabei zu einer leichten geschmacklichen Veränderung der Muttermilch kommen.

Dermatomykosen

Desinex® Creme und eine Reihe weiterer frei verkäuflicher Antimykotika enthalten als Wirkstoff Undecylensäure. Die antimykotische Wirkung dieser Medikamente erstreckt sich auf Keime wie Candida albicans, Epidermophyton floccosum, Microsporum audouini und Pilze der Spezies Trichophyton.(1)

In einer Doppelblindstudie an 151 Patienten mit Fußpilz erzielte ein Puder, der 2% Undecylensäure und 20% Zinkundecylenat enthielt, eine deutliche Reduzierung von Infektionsrate und Symptomatik im Vergleich zu den Probanden der Plazebogruppe. Fünfundachtzig Patienten mit positiven Kulturen von Trichophyton rubrum oder Trichophyton mentagrophytes wurden der Verumgruppe zugewiesen; bei 88% von ihnen waren die Kulturen nach vier Wochen negativ, verglichen mit 17% in der Plazebogruppe. Unter Undecylensäure und Zinkundecylenat traten keine Nebenwirkungen auf. (5)

Herpes-simplex-Infektion

In-vitro-Studien belegen, dass Undecylensäure auch antibakteriell und antiviral wirkt. Ihre topische Anwendung ermöglicht die erfolgreiche Behandlung von Herpes-simplex-Infektionen bei Mensch und Tier. In zwei Studien, bei denen im einen Falle eine 20-prozentige Lösung,11 im anderen Falle eine 15-prozentige Creme12 appliziert wurde, gingen Inzidenz und Dauer der Virenausscheidung zurück. Auch die Schmerzsymptomatik und die Empfindlichkeit der betroffenen Stellen waren signifikant geringer. Die antivirale Aktivität war allerdings von relativ kurzer Dauer. Die beste Wirkung wurde erzielt, wenn die Undecylensäure bereits während des Prodromalstadiums appliziert wurde. Ein Teil der Probanden berichtete über leichte lokale Hautreizungen und eine gestörte Geschmacksempfindung.(9,10)

Prothesen-Stomatitis

Candida albicans ist eine häufige Ursache der Prothesen-Stomatitis, einer durch das Tragen einer Zahnprothese hervorgerufenen Entzündung der Mundschleimhaut. Der Candida-Pilz kann zwei verschiedene Zellformen annehmen: die bei asymptomatischen Trägern nachweisbare runde Hefeform und die verzweigte Hyphenform, die im Stadium der aktiven Infektion zu finden ist. Zur Behandlung der Prothesen-Stomatitis werden häufig weiche Unterfütterungen verwendet. McLain et al. wiesen nach, dass undecylensäurehaltige Protheseneinlagen die Umwandlung der Hefeform von Candida albicans in die Hyphenform vollständig verhindern und so die Proliferation des Hefepilzes hemmen.(8)

Sicherheit/Toxizität

Studienergebnisse zeigen, dass Undecylensäure und ihre Salze bereits bei relativ niedriger Dosierung eine starke antimykotische Wirkung entfalten. Die Dosen, die zur Erzielung eines therapeutischen Effekts benötigt werden, haben sich als unbedenklich erwiesen. Es ist nicht ratsam, Undecylensäure-Kapseln zu öffnen und den Inhalt mit Speisen oder Getränken zu mischen, da die Substanz einen unangenehmen Geschmack und Geruch hat und zudem Schleimhautreizungen auslösen kann. Undecylensäure in öliger Grundlage sollte vor dem Auftragen auf die Haut mit Olivenöl verdünnt werden, um mögliche Hautirritationen zu vermeiden

Dosierung

Orale Undecylensäure wird gewöhnlich in Form von Gelatinekapseln auf öliger Basis oder - im Falle der Salze - als Pulver in zweiteiligen Kapseln verabreicht. Die Dosierung für Erwachsene beträgt in der Regel 450–750 mg täglich, verteilt auf drei Einzeldosen.